Meine Narben                                                          

 

Ein kleiner Junge, ein Garten, ein warmer Sommertag,

und die Gemüter ringsum sind erhellt.

Ich seh‘ noch heut, wie Mutter auf der Sommerwiese lag,

und wie das Kind gestolpert ist und auf die Nase fällt.

Es fiel über den Backstein, und warum der dort auch lag,

der blöde Stein, es konnte niemand sagen.

Noch heute gibt‘s ein Andenken von diesem Sommertag.

Ich trag an meiner Stirn seit jenen Tagen eine meiner Narben.

 

 

Und später auf der Schulbank, mit Neugier und mit Lust

zu lernen und die Welt neu zu begreifen.

Und Schüler um mich rum,  mit übergroßen Seelenfrust,

und Lehrer, die mit schriller Stimme keifen.

Sie nahmen mir die Neugier, und sie nahmen meinen Mut,

und ließen mich erstummen, nichts mehr fragen.

Ich konnte mich nicht tragen in der Schwemme ihrer Wut.

Die Schulzeit  hinterließ mir auch eine meiner Narben.

 

 

Und gerade mal ein Jüngling –  nur Sie in meinem Sinn –

wir liebten, lebten, lachten in den Tag.

Wir gingen mit den Flausen uns’rer Jugend vor uns hin.

Wir planten oft, was in der Zukunft für uns kommen mag.

Dann kam ein andrer, und sie ging, es blieb mir nur zu tun

die Trauer und die Schmerzen zu ertragen.

Und lange ließ mich dieser tiefe Stich ins Herz nicht ruh’n.

Auch deshalb trage ich in meinem Herzen eine meiner Narben.

 

 

Es gibt so viele Wunden, die man uns zugefügt.

Sie trafen uns und oft in unsre Herzen.

Wir haben es genommen und uns in Geduld geübt.

Der Stachel saß, wir fühlen diese Schmerzen.

Lass nur die Liebe auf uns regnen, sie wird alles heilen.

Anstatt sie tief und tiefer zu vergraben,

lass uns an ihrer Quelle jeden Augenblick verweilen.

Und dann verblassen langsam deine und auch meine Narben.

 

© Rüdiger Kirsch